Die perfekte Balance

«Im Schuppis» ist eine grosse Neubausiedlung im Stadtzürcher Wohn- und Aussenquartier Schwamendingen. Bei ihrer Entstehung spielten tausende Betonelemente sowie ein rautenförmiges Fassadenrelief eine entscheidende Rolle – und die Gebäude tragen ein Geheimnis in sich.

Es sind sechs auffallend lange Häuserzeilen, die sich durch eine modern anmutende Parkanlage schlängeln. Ihr Grundriss ist nicht klassisch, sondern weicht an vielen Stellen vom rechten Winkel ab. Die Fassaden, geprägt von beinahe quadratischen Elementen aus beigem Beton und breiten Fugen, bilden einen deutlichen Kontrast. Denn jedes dieser Felder schmückt ein diagonales Kreuz. Ein X, eingegossen als Relief. Betrachtet man das Gesamte mit etwas Distanz, wirkt es so, als habe man den Bauten ein hübsch gemustertes Gewand umgehängt.

«Das Relief und dessen Wiederholung bringt die langen, vergleichsweise hohen Wohnhäuser in eine feinere Massstäblichkeit.»

Lisa Kahl, Architektin

An historischen Häuserzeilen orientiert

«Das Ziel des kreuz- oder rautenförmigen Reliefs und dessen Wiederholung ist es, die langen und verhältnismässig hohen Wohnhäuser in eine andere, feinere Massstäblichkeit zu bringen», erklärt Architektin Lisa Kahl aus dem Team von EMI Architekt*innen in Zürich. Sie war beim  Bauvorhaben «Im Schuppis» von 2022 bis 2023 für den Bereich Gebäudehüllen zuständig. «Das rautenförmige Relief kam aber auch zum Einsatz, weil die Neubauten sowohl – aufgrund des Vorhandenen – einen ländlichen, wie auch – aufgrund der Verdichtung – einen städtischen Charakter innehaben sollen. Deshalb erinnert das Fassadenmotiv vielleicht an steinerne Spaliere.» Der Auftraggeberin, der Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ), sei es ein Anliegen gewesen, das Areal zeitgemässer zu gestalten und die vorhandene Fläche effizienter zu nutzen. Der ursprüngliche Charakter einer Gartenstadt sollte aber weitergeführt werden – ein Wunsch, auf den EMI Architekt*innen mit ihrem Projekt eingegangen sind.

Zwei Etappen, eine Einheit

Entstanden ist die Siedlung «Im Schuppis» von 2017 bis 2023 in zwei Etappen. Für jede fand eine separate Ausschreibung statt, wie Lisa Kahl hervorhebt. So kam es, dass je nach Bauetappe und Arbeitsbereich unterschiedliche Unternehmerinnen und Unternehmer beteiligt waren. Die Herausforderung bestand also darin, dass die Gebäude trotz diesen organisatorischen Änderungen eine Einheit bilden. «Dem Team des Elementwerks Istighofen, das bei der zweiten Etappe dabei war, ist das bei den Fassaden hervorragend gelungen», findet die Architektin.

Eine weitere Schwierigkeit bestand laut Lisa Kahl darin, die Fassadenelemente so zu konzipieren, dass sie möglichst leicht und dennoch beständig sind. Zur Anwendung kam Faserbeton, denn dieser erfüllt beide Vorgaben perfekt. «Wir mussten ausserdem mit verschiedenen Höhen und Tiefen des Reliefs experimentieren, unter anderem damit anfallendes Regenwasser gut ablaufen kann», berichtet die Fachfrau. «Das Ergebnis ist eine perfekte Balance aller Aspekte.»

Variationen führen zu Einheit

Die 9764 Betonelemente für die zweite Bauetappe hat das Team des Elementwerks Istighofen mithilfe eines Schalungssystems vorproduziert. Auf der Baustelle waren nur wenige nachträgliche Schnitte am Sockel und auf der Höhe des Daches nötig. Was nun so einheitlich aussieht, basiert auf einem ausgeklügelten System mit unzähligen Variationen. Das Produktionsteam stellte 627 verschiedene Elementtypen her, um die Fassade so zusammensetzen zu können, dass alles zusammenpasst – auch bei den Fenstern, Balkonen, Vorsprüngen und Rücksprüngen. «Die Planung war aufwändig, aber sie hat sich gelohnt», fasst die die Architektin zusammen. Hergestellt und ausgeliefert wurden die Betonfertigteile übrigens fortlaufend über eine längere Zeitspanne hinweg, sodass auch kurzfristige Anpassungen und Nachproduktionen möglich waren.

Nicht aus Beton, sondern aus Holz

Bemerkenswert ist, dass die «Schuppis»-Häuser wie Betonbauten aussehen, aber strenggenommen keine sind. «Unter den Fassadenelementen befindet sich ein tragender Holzbau», verrät Lisa Kahl. Die Betonplatten wurden mit Agraffen an den Holzelementen befestigt, wobei Platz für die Hinterlüftung frei blieb. Weil die Elemente vergleichsweise klein sind und zudem breite Fugen zum Einsatz kamen, konnte man flexibel auf Toleranzen am Bau reagieren und diese ausgleichen. «Es ist also tatsächlich so, dass diese Häuser eine Art Kleid tragen», sagt Lisa Kahl. «Eines, das leicht erscheint, schmückt, vor der Witterung schützt und schön altert.»

 

Newsletter Anmeldung